Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
An die Welt
Das Gedicht „An die Welt“, geschrieben von Andreas Gryphius stammt aus der Epoche des Barock 1600-1720. Es behandelt das typische memento mori Motiv, da dem lyrische Ich nach einem anstrengenden Leben der Übergang ins Jenseits bevorsteht.
Das Gedicht ist in der Form eines Sonetts geschrieben und setzt sich folglich aus zwei Quartetten und zwei Terzetten zusammen. Entsprechend ist das Reimschema der Quartette ein umarmender Reim (abba, cddc) mit zwei männlich vollen Kadenzen2 in den ersten und letzten Versen, welche die weiblich-klingenden Endungen in den mittleren Versen drei und vier beziehungsweise sechs und sieben umschließen. Durch die Terzette zieht sich ein Schweifreim (eef, ggf), deren ersten beide Verse (V.9,10 und V.12,13) auf eine weibliche Kadenz enden und dann im letzten Vers männlich-stumpf ausklingen. Das Metrum3 des 6-hebige Jambus mit Alexandriner gibt dem ganzen Gedicht eine durchgehende Struktur. Die poetische Sprache wird insbesondere durch manieristische Ausschmückungen hervorgebracht. Verwendet werden insbesondere Wörter aus dem Bedeutungsbereich der Natur und der Seefahrt, die metaphorisch für die Gefühlswelt des lyrischen Ichs sowie den menschlichen Körper und die Welt stehen. Die Sprachhaltung des lyrischen Ichs zeigt einerseits seine zuversichtliche Einstellung gegenüber einem Weiterleben nach dem Tod sowie die Hoffnung von dem irdischen Leid befreit zu werden, andererseits klagt es über Müdigkeit und Erschöpfung.Insgesamt hält sich Andreas Gryphius bei der äußeren Gestaltung seines Gedichts sehr stark an Regeln und Formen.
Die erste Strophe beschreibt den Müßiggang des Lebens, da wir Menschen täglich mit neuen Problemen konfrontiert werden. Das Leben ist eine wilde Schifffahrt, da das für das lyrische Ich stehende und daher personifizierte „bestürmte Schiff, der grimmen Winde Spiel“ (V.1) immer wieder aufs Neue ausgesetzt wird. Wir erleben Höhen und Tiefen „über Klipp` auf Klipp“ (V.3) und sind der Spielball einer höheren Macht „der frechen Wellen Ball“ (V.2). Demnach können wir- wie in den beiden durch die Anapher5 „das“ verbunden Versen erklärt-oftmals keinen Einfluss auf unser Schicksal nehmen, stattdessen ist es unsere Aufgabe, die Hürden des Lebens souverän zu bewältigen und Hindernisse zu überwinden. Der „Port“ (V.4) ist eine Metapher6 für den Tod, der ebenso wie die Einfahrt in den Hafen das Ende einer Reise durch das Leben auf Erden darstellt. Doch die unmittelbare Gegenwart des Todes scheint vom lyrischen Ich ersehnt „meine Seele will“ (V.4) und entspricht nicht der natürlichen Vergänglichkeit. Er „kommt vor der zeit“ (V.4) und könnte daher durch äußeren Eingriff herbeigeführt worden sein.
Im weiteren Verlauf des Gedichts geht das lyrische Ich mit Hilfe eines Pleonasmus7 näher auf die düstere Szenerie der „schwarzen(n) Nacht“ (V.5) ein. Diese überfällt das lyrische Ich antithetisch zum „Mittag“ (V.5) , womit es aufzeigen will, wie schnell die trügerische Scheinwelt über uns einbrechen kann. Hierbei ist insbesondere der historische Kontext des 30-jährigen Krieges und die Seuchenverbreitung der Pest wichtig, die die Menschen zu dieser Zeit vieler ihrer Illusionen und Lebensträume beraubt haben. Dennoch wird die Scheinhaftigkeit von Schönheit vielen Menschen erst bewusst, wenn „der geschwinde Blitz die Segel schier verbrennet“ (V.6). Schon durch den direkten Einbezug des Lesers in der Anrede „uns“ überträgt das lyrische Ich seine subjektiven Gefühle auf ihn, um im Folgenden die Warnung auszusprechen, sich von dem Glanz der Welt nicht blenden zu lassen, denn das lyrische Ich selbst habe „den Wind und Nord und Süd verkennet“ (V.7). Die Akkumulation der schadhaften Schiffsteile (Vgl.V.8) „Mast, Steu`rruder, Schwert und Kiel“ (V.8) kann sich sowohl auf die Laster und den Egoismus der Menschen beziehen, die nicht bereit sind, die Realität voller Leid und Elend zu akzeptieren ebenso ist es möglich, dass das gesamte Schiff als Metapher für das irdische Jammertal selbst steht, welches sich hinter einer paradiesischen Fassade verbirgt.
In der dritten Strophe spricht das lyrische Ich in der zweiten Person Singular „du“ (V.) zu sich selbst und fordert seine personifizierte Seele dazu auf endlich aus dem schrecklichen Leben auf Erden auszubrechen „steig aus“ (V.9), da es der Meinung ist, sein Geist sei müde (Vgl. V.9) und bereit zu sterben. Von dem Tod verspricht es sich wie in dem Enjambement8 von Vers 10 zu Vers 11 beschrieben die Erlösung von allem irdischen Leid. Die Akkumulation „Angst und herber Pein und schwerer Schmerz“ (V.11) bringt nur noch einmal deutlich zum Vorschein, dass das lyrische Ich die „verfluchte Welt“ (V.12) als einen Ort voller Leid und Kummer sieht.
Mit der letzten Strophe distanziert sich das lyrische Ich schlussendlich von seiner trauernden Sprachhaltung und stürzt sich zuversichtlich und voller Enthusiasmus auf das „Glück“ (V.13), welches es in seinem „Vaterland“ (V.13), dem Jenseits, zu erwarten hat. Gleichzeitig folgt aus der Bezeichnung „Vaterland“, dass das lyrische Ich in dem irdischen Leben lediglich den Weg zu einem besseren Leben im Antlitz Gottes sieht. Die Zweideutigkeit des Wortspiels wird deutlich, sofern man in dem Vaterland nicht nur die Heimat, sondern ebenso Gott (Vater) und den Himmel (Land) sieht. Dies verweist erneut auf die christlich orientierte Lebenseinstellung des lyrischen Ichs, welche schon aus dem Glaube an ein Weiterleben nach dem Tod hervorging. Der letzte Vers des Gedichts beweist letztlich die Beständigkeit des Jenseits als ein Ort der Ewigkeit, welches als „ewiglichtes Schloß“ (V.14) glorifiziert wird. Dort herrscht endlich „Schutz und Frieden“ (V.14), sodass sich das lyrische Ich von den schlimmen, irdischen Erfahrungen und den „rauhe(n) Stürme(n)“ (V.12) erholen kann. Demnach bildet der Inhalt der Terzette „Erlösung“ eine Antithese9 zu den Lebensreflexionen des lyrischen Ichs aus den Quartetten.
Allgemein betrachtet ist das Sonett1 von Andreas Gryphius ein typisches Gedicht für die Epoche des Barocks, da vor allem das memento mori sowie das vanitas Motiv die Thematik bestimmen. Das lyrische Ich versucht seinen Geist davon zu überzeugen, dass es bereit ist, den Schritt ins Jenseits zu wagen und zu sterben. Nichts hält es mehr im irdischen Jammertal, welches geprägt von Leid und Schmerz das Leben der Menschen zerstört und zu einer Irrfahrt durch den Alltag macht. Jeden Moment erwartet das lyrische Ich erneut einen Einsturz der prachtvollen Scheinwelt, hinter der sich nichts als Elend verbirgt. Aus diesem Grund sieht es voller Hoffnung in die Zukunft, wo es bei Gott in ewiger Glückseligkeit leben kann.