Autor/in: Alfred Wolfenstein Epoche: Expressionismus Strophen: 4, Verse: 14 Verse pro Strophe: 1-4, 2-4, 3-3, 4-3
Dicht wie die Löcher eines Siebes stehn
Fenster beieinander, drängend fassen
Häuser sich so dicht an, daß die Straßen
Grau geschwollen wie Gewürgte stehn.
Ineinander dicht hineingehakt
Sitzen in den Trams1 die zwei Fassaden
Leute, ihre nahen Blicke baden
Ineinander, ohne Scheu befragt.
Unsre Wände sind so dünn wie Haut,
Daß ein jeder teilnimmt, wenn ich weine.
Unser Flüstern, Denken ... wird Gegröle ...
- Und wie still in dick verschlossner Höhle
Ganz unangerührt und ungeschaut
Steht ein jeder fern und fühlt: alleine
Anmerkungen
1
Altmodisches Wort für Straßenbahn.
Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
Einleitung
Alfred Wolfenstein (geb. 28 Dezember 1888, gest. 22 Januar 1945) heiratete 1916 Henriette Hardenberg, zog mit ihr nach Berlin und reichte 1930 die Scheidung ein. 1912 wurde Alfred Wolfensteins erstes Gedicht veröffentlicht. Das Gedicht „Städter“ erschien 1914, als der 1. Weltkrieg begann. Darin beschreibt er die negativen Seiten einer Stadt. Vermutlich spricht er aus Erfahrung da er in einer Stadt lebte und zog es vor auf dem Land zu wohnen. Oder er stellt in seinem Gedicht das damalige Ghetto dar.
Das Gedicht wurde in der Epoche des Expressionismus geschrieben, die von 1910 bis 1925 ging.
Es geht um das Leben in einer Großstadt.
Inhaltsangabe
Das Gedicht „Städter“ handelt vom Großstadtleben. Der Autor beschreibt darin das Aussehen der Häuser, die dicht beieinander stehen und zwischen denen sich Straßen bahnen. Die Fenster werden mit den Löchern eines Siebes verglichen. Vorstellbar sind Hochhäuser oder Mehrfamilienhäuser. In dem Gedicht ist auch von dem Benehmen der Menschen in der Straßenbahn oder in ihren Wohnungen oder Häusern die Rede. Sie werden als Fassaden beschrieben, die sich Blicke zuwerfen ohne zu reden oder ein freundliches Wort zu wechseln. Die Wände der Häuser und Wohnungen sind so dünn, dass sie geräuschdurchlässig sind. So hat jeder Nachbar teil an dem Privatleben des anderen. Trotzdem sind es Höhlen in die sich die Menschen zurückziehen und ohne Gesellschaft ganz alleine sind.
Form
Das Gedicht besteht aus vier Strophen. Die erste und zweite Strophe besteht aus vier Versen und die dritte und vierte Strophe besteht aus nur drei Versen -zwei Vierzeiler zwei Dreizeiler. Es reimen sich die Zeilen 1 und 4, 2 und 3, 5 und 8, 6 und 7, 9 und 13, 10 und 14, 11 und 12. Das Gedicht ist im Präsens geschrieben und ist ein umschließender Reim. Das erste Wort („Unser“) in der dritten Strophe und das sechste Wort in der zehnten Zeile („ich“) macht deutlich, dass es aus der Sicht des Autors erzählt wird.
Deutung
In der ersten Strophe berichtet er von dem Aussehen der Häuser und dass sie dicht beieinander stehen, so dass die Straßen kleiner wirken. Damit möchte er Bedrängnis und Enge ausdrücken. Mit der Alliteration1 „Grau geschwollen wie Gewürgte“ beschreibt er das Unwohlsein.
In der zweiten Strophe versucht er dem Leser klar zu machen, wie sich die Leute verhalten, indem er sie als Fassaden bezeichnet die in den Trams sitzen und sich ausdruckslose Blicke zuwerfen, was bedeutet, dass der Umgang untereinander unangenehm ist. Er beschreibt die Lebewesen/Menschen als Gegenstände und gibt den Gegenständen etwas menschliches indem er z. B. Wände mit Haut vergleicht um die Atmosphäre bedrückender und dramatischer zu gestalten. Durch die Beschreibung wirken die Menschen gefühllos und steril.
Dann schildert er in der dritten Strophe das Leben in den Häusern mit viel zu dünnen Wänden, so dass der Nachbar jedes Gespräch und Geräusch mitverfolgen kann. Damit stellt er die zerstörte Privatsphäre dar.
In der vierten und letzten Strophe spricht Alfred Wolfenstein von „dick verschlossenen Höhlen“, was dem ersten Vers in der dritten Strophe wiedersprechen mag. Hier möchte er jedoch verdeutlichen, wie sich die Menschen auseinander gelebt haben und dass sie meist nur mit sich selbst zu tun haben. Mit dem Vers „steht ein jeder fern und fühlt: alleine“ in der vierten Strophe meint er, dass man sich in dieser Stadt einsam fühlt obwohl dort so viele Menschen leben.
Schluss
Alfred Wolfenstein stellt ein düsteres Bild des Großstadtlebens am Anfang der Jahrhundertwende dar. Mir gefällt das Gedicht nicht, weil es auf eine ungewöhnliche negative Art geschrieben wurde. Außerdem habe ich einen anderen Eindruck von Städten. Ich kann mir jedoch vorstellen, dass in der Expressionismus-Epoche das Leben in einer Großstadt nicht so angenehm war, da um diese Zeit viele neue Erfindungen in den Alltag fanden an die sich die Menschen erst gewöhnen mussten. Zu Alfred Wolfensteins Lebzeit waren Städte noch nicht so lebendig und vielleicht wurden damals Häuser schlechter konstruiert, so dass die Bedrängnis welche er in dem Gedicht beschreibt berechtigt ist. Heute können Wände jedoch Schalldicht gebaut werden und Straßen sind auf Grund der Fahrzeuge besser ausgebaut. Zudem war die Stimmung der Bevölkerung im ersten Weltkrieg schlecht.
7;
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