Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
In dem Gedicht „Maifest“, geschrieben 1771 von Johann Wolfgang Goethe, wird die vom lyrischen Ich als positiv empfundene Erkenntnis thematisiert, dass Natur und Liebe eng miteinander verknüpft seien und in jedem Teil Elemente des jeweils anderen beinhaltet sind.
Zu Beginn beschreibt das lyrische Ich seine wohlstimmende Empfindung der Natur, um anschließend zu erläutern, dass Liebe wie Natur sei, beziehungsweise Liebe in der Natur enthalten sei. Daraus wird geschlossen, dass man jemanden liebt und dass diese Liebe für die Ewigkeit bestimmt sein soll.
In dem Gedicht ist eine Dreiteiligkeit zu erkennen, mittels derer ein argumentativer Gedankengang vollzogen wird. Inhaltlich zeigt sich dies darin, das das lyrische Ich in den ersten drei Strophen eine Beschreibung seiner Empfindungen für die Natur abgibt, um sie in den nächsten vier Strophen zu erläutern und schließlich in den letzten beiden Strophen als Fazit an die gemeinsame Liebe mit etwas oder jemandem zu appellieren. Dies wird formal unterstützt durch Kreuzreime jeweils am Ende eines inhaltlichen Abschnitts, die vom Leser als Schluss oder Abgrenzung des Abschnitts empfunden werden, so wird der erste Abschnitt formal mit dem Reim von „Brust“ in Zeile 10 und „Lust“ in Zeile 12 abgeschlossen, der zweite Abschnitt mit dem Reim von „Luft“ in Zeile 26 und „Himmelsduft“ in Zeile 28 und der dritte Abschnitt mit dem Reim von „gibst“ in Zeile 34 und „liebst“ in Zeile 36. Die Abgrenzung der drei Teile erfolgt im Zusammenspiel der inhaltlichen und formalen Elemente, sodass zum Beispiel weitere Kreuzreime wie in Strophe 4 oder Strophe 6 ohne die inhaltlichen Aspekte keine Abgrenzung bewirken.
Der lyrische Sprecher ist eindeutig als lyrisches Ich zu identifizieren. Personalpronomen1 sind im gesamten Verlauf des Gedichts zu finden, etwa in Zeile 2 „Mir“, in Zeile 24 „mich“ oder in Zeile 36 „mich“, was auf ein lyrisches Ich hindeutet. Ebenfalls ein lyrisches Ich indizieren die diversen Ausrufe im Gedicht, wie in Zeile 1 und 2 „Wie herrlich leuchtet mir die Natur!“ oder in Zeile 22 „Wie lieb ich dich!“.
Dadurch, dass das lyrische Ich in Zeile 21f ein Mädchen und seine Liebe zu ihm ausspricht, ist davon auszugehen, dass es sich beim lyrischen Ich um eine männliche Person handelt.
Die vielen, teilweise ekstatischen Ausrufe (z. B. Zeile 11f) und die Beschreibung von Gefühlen wie „Freud und Wonne“ (Zeile 9) lässt auf eine euphorische Grundstimmung des lyrischen Ichs schließen.
Zeitlich bezieht sich das lyrische Ich fast ausschließlich auf die Gegenwart (Zeile 1f, Zeile 5f, Zeile 17, Zeile 25), mit der Ausnahme von Zeile 35 und 36 wo es den Appell an einen Adressaten richtet für „ewig“ (Zeile 35), also für die Zukunft.
Das lyrische Ich befindet sich nicht an einem bestimmten Standort. Einerseits ist es der Natur so nah, dass es das Aufblühen einzelner Zweige beobachten kann (Zeile 5f), andererseits beschreibt es aber auch Wolken an Bergen (Zeile 16f), die weit entfernt sind, was in diesem Fall an dem Wort „jenen“ (Zeile 16) zu erkennen ist. Das ungenaue Definieren des Standortes des lyrischen Ichs könnte ein Indiz dafür sein, dass sich der Autor, beziehungsweise das lyrische Ich als Teil der Natur sieht, wie es für den Sturm und Drang typisch wäre.
Die Sprechweise ist bis auf den letzten Abschnitt ein Ausdruck des lyrischen Ichs und damit eine ich-bezogene Sprechweise. Darauf deuten die zahlreichen Ausrufe hin, wie zum Beispiel in der ersten Strophe, sowie der Ausdruck der Liebe zu einem Mädchen in Zeile 22 oder der Beschreibung der Empfindungen der Liebe in Zeile 14.
Im letzten Abschnitt spricht das lyrische Ich partnerbezogen, es appelliert an einen Adressaten (Zeile 35f). Der Adressat wird direkt angeredet („ich dich“ Zeile 29) und mit dem Imperativ „Sei“ in Zeile 35 aufgefordert für immer glücklich zu sein.
In den ersten beiden Abschnitten bezieht sich das lyrische Ich auf keinen bestimmten Adressaten. Zwar wird in Zeile 17 die Liebe direkt angesprochen und in Zeile 22 die Liebe zu einem Mädchen ausgedrückt, jedoch dienen diese Ansprachen nur der Verdeutlichung der Empfindung der Natur des lyrischen Ichs, es werden keine Forderungen gestellt oder mit dem Objekten Liebe und Mädchen interagiert.
Im letzten Abschnitt wird an einen einzelnen Adressaten appelliert (s.o), wobei unklar bleibt, wer dieser Adressat ist. Es bleibt die Frage, ob der Adressat die Natur ist, die das lyrische Ich so verehrt, oder ob der Adressat seine geliebte Frau ist, deren Liebe das lyrische Ich durch Empfindungen aus der Natur zum Ausdruck zu bringen versucht.
Sowohl sprachlich als auch inhaltlich wird ein Bezug zwischen den Motiven Liebe und Natur hergestellt.
Zum einen werden Begriffe aus der Natur personifiziert, also menschlich gemacht, wodurch sich die Auffassung der Stürmer und Dränger, dass das Gefühlvolle menschlich ist, dazu benutzen lässt, um eine Verbindung zur Liebe herzustellen. Personifikationen2 treten beispielsweise auf in Zeile 4, Zeile 7f oder in Zeile 25.
In Zeile 11 und 12 werden Begriffe aus der Natur („O Erd', o Sonne“ Zeile 11) Begriffen aus der Liebe („O Glück, o Lust“ Zeil 12) gleichwertig gegenübergestellt, was darauf schließen lässt, dass auch der Autor Liebe und Natur als gleichwertig ansieht.
In der ersten Strophe werden Begriffe, die auch Assoziationen zum Motiv Liebe zulassen (z. B. „herrlich“ in Zeile 1 oder „glänzt“ in Zeile 3) mit Begriffen aus der Natur kombiniert, wodurch wieder auf eine enge Beziehung von Liebe und Natur demonstriert wird.
Dadurch, dass der Adressat des Appells im letzten Abschnitt unklar bleibt (s.o.), wird der Leser gezwungen, sich darüber Gedanken zum machen: Über das Zusammenspiel von Natur und Liebe und die Frage, ob der Appell an die Herrlichkeit einer Frau oder an die Herrlichkeit der Natur gerichtet ist.
Literaturhistorische Einordnung
Das Gedicht ist eindeutig der literarisch-revolutionären Bewegung des Sturm und Drang zuzuordnen.
Zeitlich fällt das Gedicht mit dem Verfassungsjahr 1771 in den Sturm und Drag, der in der Zeit von ca. 1770 bis 1790 stattgefunden hat.
Das Hauptthema „Empfindung-Natur„ fügt sich nahtlos in die Ansicht der Stürmer und Dränger ein, die Gefühle des Individuums stünden im Vordergrund des Lebens eines Menschen.
Der Mensch als Teil der Natur im Gedicht (s.o.) deckt sich mit der Ansicht des Sturm und Drang, der Mensch sei ein Teil der Welt , der Natur und des Alls.
Die Begriffe „Natur“ (Z.2) und „Liebe“ (Z. 13), sowie die Motive vom Genuss der Natur und von der Liebe zu einer bestimmten Person sind im Grunde beispielhaft für Lyrik des Sturm und Drang und werden oft als Beispiele genannt.
Im Gedicht sieht sich das lyrische Ich als Schöpfer, der von Gefühlen und Empfindungen inspiriert werden muss (Z. 31f), was ebenfalls mit dem Selbstbild der Literaten des Sturm und Drangs übereinstimmt, sich als Schöpfer, beziehungsweise als Genie zu sehen.
Als Genie sahen sich die Stürmer und Dränger dazu berechtigt, sich über die bestehenden formalen Regeln in der Literatur hinwegzusetzen. Obwohl in dem Gedicht „Maifest“ eine deutliche Gliederung in Strophen vorgenommen wurde, verstößt die unregelmäßige Zeichensetzung gegen die damalige Regel, was zeigt, dass sich Johann Wolfgang Goethe berechtigt sag, sich über die konventionellen Regeln der Zeichensetzung hinwegzusetzen.
Im Gedicht drückt der Autor über das lyrische Ich seine Gefühlswelt, seine Empfindung aus, was nach den Ansichten der Stürmer und Dränger die ultimative Aufgabe der Kunst, beziehungsweise Literatur darstellt.
Die Sprache im Gedicht mit ihrem Ausrufen (Strophe 1) entspricht der Sprache des Sturm und Drang, die assoziativ und ausdrucksstark zu sein hatte, was sich wie im Gedicht durch Ausrufe oder aber auch Ellipsen3 verdeutlicht hat.