Inhaltsangabe, Analyse und Interpretation
Nachtcafé ist ein Gedicht des berühmten deutschen Dichters Gottfried Benn. Benn schrieb dieses 8-strophige Gedicht im Jahr 1912. Er hatte durch die Veröffentlichung des Gedichtbandes ‚Morgue‘ im selben Jahr schon einige Berühmtheit erlangt. Die dort veröffentlichten Gedichte waren skandalös vor allem durch ihre Morbidität1. Es ging dort um die ästhetische, zynische Darstellung von Leichen und Leichenteilen. Das Gedicht „Nachtcafé“ hat gewisse Ähnlichkeiten im Stil und im Tonfall. Der Körper steht aber nicht so sehr im Zentrum des Gedichts, wie es in den ‚medizynischen‘ Gedichten der Morgue-Reihe der Fall ist. Es geht um einen Besuch eines Cafés bei Nacht: um das Geschehen in einem düsteren und heruntergekommenen Etablissement. Es geht im ‚Nachtcafé‘ um Prostituierte und um Männer, die die Dienste dieser Frauen in Anspruch nehmen. Im Gedicht taucht an zwei Stellen ein lyrisches Ich auf. Es distanziert sich vom ‚Pack‘ (V. 17). Besonders die männlichen Personen, die in diesem Gedicht vorkommen, werden in negativer und meist medizinisch-diagnostischer Sprache beschrieben. Sie tauchen als Personen in Form von Krankheitsbildern auf oder als personifizierte Krankheitserscheinungen, als Symptome für Krankheiten. Dabei geht es Benn jedoch auch um Frauen, genauer gesagt: um Prostituierte. Um deren „Liebe und Leben“ geht es, so sagt es gleich der erste Vers. Will das Gedicht sagen, dass sich das Leben und die Liebe dieser Frauen im Verhältnis zu diesen durchweg negativ beschriebenen Männern erschöpft? Wäre das ein Leben? Wäre das Liebe? Die rhetorische Frage macht deutlich, dass Benn hier vor allem zynisch ist. Das Gedicht zeigt ein Leben, das kein Leben ist, und Liebe, welche keine Liebe sein kann. Es ist trotzdem ein Gedicht. Aber keines, das die schönen Seiten des Lebens darstellt. Wir lesen Verse, in denen die Hässlichkeit der Männer thematisiert wird. Und wir lesen Verse, in denen es um die Prostitution von Frauen geht. Findet eine Wertung statt? Ist dieses Gedicht sozialkritisch? Das kann man nicht sagen. Dafür gibt es im Gedicht keine Indizien.
Wie verortet man das 1912 veröffentlichte Gedicht Gottfried Benns? Es ist für die literarische Moderne kennzeichnend, dass immer öfter die dunklen Seiten des gesellschaftlichen Zusammenlebens thematisiert werden. Es gab in der Kunst immer schon die Tendenz, gesellschaftliche oder politische Missstände anzukreiden und sich innerhalb der Kunst gegen Ungerechtigkeiten aufzulehnen. Es ist aber vielleicht insbesondere für die Gedichte der Moderne charakteristisch, dass diese oft ohne einen sozialen oder politischen Anspruch auftreten. Es geht in ihnen nicht primär um eine Verbesserung der gesellschaftlichen Verhältnisse. Das Politische ist in diesen Gedichten, wenn überhaupt, sekundär. In erster Linie geht es erst einmal darum, Worte zu finden für eine neuartige Erfahrung. Etwas, das über die Menschen gekommen ist und demgegenüber sich die Menschen als machtlos empfinden. Die Rede ist von den gewaltigen und gewaltsamen Veränderungen des gesellschaftlichen Zusammenlebens, die mit der Industrialisierung und der wissenschaftlich-technischen Revolution einhergegangen sind. Es gab wohl kein Jahrhundert in der Geschichte der Menschheit, das derart abrupte und gleichzeitig monumentale Veränderungen erlebt hat wie das lange 19. Jahrhundert. In diesem Jahrhundert beginnt die Moderne. Hier werden die Grundsteine gelegt für das Leben wie wir es heute kennen: Das Leben in Großstädten, das Leben mit Technik, das Leben mit Wissenschaft. Verglichen mit allen vorhergehenden Jahrhunderten, die die Menschheit erleben durfte, ist dieses 19. Jahrhundert von noch nie zuvor dagewesener rasender Geschwindigkeit, mit der der Mensch vom Fortschritt gleichsam überrollt wird. Er kann insbesondere mit den technischen Entwicklungen nicht mithalten. Es sind diese Technologien – zuvor nie dagewesene Möglichkeiten insbesondere in der Produktion von Konsumgütern –, die die gesellschaftlichen Entwicklungen vorantreiben und sie in ihrer Form bestimmen. Die Kunst hinkt zwar hinter diesen Entwicklungen hinterher: aber sie ist es, die verzweifelt versucht, für die Veränderungen des Lebens die Worte oder den geeigneten Ausdruck zu finden. Die Kunst geht in diesem Sinne voran: Sie ist Avantgarde. Sie sucht nach Ausdrucksmitteln für die angebrochene ‚neue Zeit‘.
Wer dafür Anschauungsmaterial sucht, der findet dieses in den neuen Kunstrichtungen am Jahrhundertwechsel zum 20. Jahrhundert: Impressionismus und Expressionismus, Kubismus, Dadaismus, Surrealismus, Großstadtlyrik und Futurismus (etc.). In all diesen ‚modernen‘ Kunstrichtungen wird versucht, über die bestehenden Grenzen der Wahrnehmung hinauszugehen. Es ist eine falsche Auffassung dieser modernen Kunst, wenn man denkt, dass diese eine Ausgleichsfunktion übernehmen. Es gibt nicht die rasanten technisch-wissenschaftlichen Umbildungsprozesse auf der einen Seite und die davon unabhängige Kunst als das ‚last resort‘. Als würde man den Expressionismus als den Versuch verstehen, dass sich das ‚verlorene Subjekt‘ in die bloß subjektive Gefühlswelt zurückzieht, indem es das bloß subjektiv Empfundene radikal übersteigert, um sich so von den Prozessen der Verstädterung und Technisierung zu immunisieren. Man muss die Kunst viel eher als die Radikalisierung der inneren Tendenzen dieser Umbildungsprozesse verstehen, auch und gerade dann, wenn dies mit dem Selbstverständnis vieler Künstler dieser Zeit nicht zusammenpasst.
Ein Fehler wäre es, einen modernen Literaten oder Poeten nur einer bestimmten Epoche zuordnen zu wollen. Man muss viel eher versuchen, ein Gefühl für den Geist der damaligen Zeit zu bekommen: Man muss versuchen zu verstehen, aus welcher Gesamtsituation heraus ein Dichter ein Gedicht geschrieben hat. In Gottfried Benns Gedicht „Nachtcafé“ beispielsweise laufen viele Tendenzen der damaligen Zeit zusammen ohne dass diese Tendenzen den ‚Gehalt‘ des Gedichtes jemals erschöpfen könnten. Wir werden versuchen diese verschiedenen Stränge sichtbar zu machen, die Konstellation, in der dieses Gedicht entstanden ist und über welche das Gedicht, wenn es gut ist, auch immer hinausweist.
Das Gedicht hat 8 Strophen von unterschiedlicher Länge. Es ist insgesamt 25 Verse lang. Die Strophen sind zwischen 1 und 6 Verse lang. Die Verse reimen sich nicht. Es gibt kein durchgängiges Metrum2, was damit zusammenhängt, dass die Verse in ihrer Länge sehr stark variieren. Das Gedicht liest sich wie die sachliche Beschreibung eines Geschehens. An zwei Stellen hebt sich ein lyrisches Ich ab: in Strophe 6 in einem Ausruf gegen das ‚Pack‘ und in Strophe 7 als Beschreibung eines Gefühls. Strophe 6 liest sich fast wie Prosa. Sie ist aber eher eine Ausnahme. Der Rest des Gedichts wird dominiert durch den sachlichen, protokollhaften Tonfall. Verstärkt wird dieser durch zahlreiche Aufzählungen, Enjambements3 und durch einige elliptische Sätze, in denen das Verb fehlt. Die Personen, die in diesem Gedicht vorkommen, verschiedene Männer und vier Frauen, die sich in dem Nachtcafé aufhalten, werden nicht als Personen beschrieben, sondern als personifizierte Krankheitsbilder. Sie sind wandelnde Symptome oder herausstechende Beschreibung ihrer äußeren Erscheinung: „Junger Kropf“, „Fettleibigkeit“, „Sattelnase“, „Doppelkinn“. Auch das erinnert eher an einen Krankheitsbericht, eine Anamnese, als an eine dichterische Darstellung einer Person.
Benn bemüht sich in diesem Gedicht nicht so sehr um den stilistischen Glanz seines Gedichtes. Es reimt sich nicht, es hat kein Metrum und es finden sich auch keine Stilmittel, mit denen versucht wird, etwas besonders ‚schön‘ und ‚ästhetisch‘ darzustellen. Es wird nichts in schöne Worte oder wohlklingende Rhythmen ‚gekleidet‘. Es wird hauptsächlich beschrieben. Das hässliche äußerliche Erscheinungsbild vertritt die handelnden Personen. Als Stilmittel könnte man hier von Synekdochen4 sprechen, jedoch geht es hier nicht um eine Vertauschung, die das Ziel hat, ‚mehr‘ von der Person zu zeigen. Was hier gezeigt wird: „Fett im Haar“ steht nicht ‚charakteristisch‘ für eine Person, die sich dadurch besonders auszeichnet, dass sie sich nicht um die Pflege ihrer Haare kümmert. Es geht um kein ‚Dahinter‘: die äußerliche Beschreibung ist bereits das ‚Ganze‘ der Person (gerade kein pars pro toto, kein Teil, der für das Ganze steht, sondern ein pars qua totum, der Teil ist hier bereits das Ganze. Deshalb sind diese ‚Bilder‘ auch keine Metaphern5). Die Bedeutung dieser Person ist vollends aufgehoben in der Beschreibung „Sattelnase“. Wie handeln diese Personen? Sie gehen ihren Trieben nach. Es sind Männer, für die in diesem Nachtcafé nur zählt, dass die Frauen ihnen zur freien Verfügung stehen. Die Personen sind einerseits Verkörperungen eines äußerlichen Merkmals und andererseits Verkörperungen ihres Sexualtriebs.
Benn teilt mit dem Expressionismus seiner Zeit die Kunst eines neuen Sehens: einer bewussten Veränderung des Sehens und der künstlerischen Darstellung von Personen. Doch während die Expressionisten auf die Übersteigerung des subjektiv Empfundenen setzen, geht es bei Benn nicht (nur) um den künstlerischen Ausdruck einer ‚Innenperspektive‘. Es geht hier um feine Unterschiede: während es „dem Expressionismus“ (gemeint sind die berühmtesten Vertreter dieser Kunstrichtung in ihren charakteristischsten Kunstwerken) um eine Verlagerung der Bedeutung in eine innere, durch Gefühle ausgezeichnete Sphäre ging, vermisst man bei Benn diese Betonung des ‚Perspektivhaften‘. Es ist das Protokollhafte des Gedichts, welches diese Betonung vermissen lässt. Die Personen werden hier nicht durch eine gefühlshafte Färbung der Perspektive übersteigert dargestellt, sondern eher als auf objektive, äußerliche Eigenschaften reduziert.
Diese Reduzierung kann man mit guten Gründen als zynische Darstellung von Personen verstehen. Der Zynismus ist die einzige Gefühlsäußerung, zu welcher die Nihilisten6 noch fähig sind. Wenn das Personsein hier auf äußerliche, hässliche Eigenschaften reduziert wird und gleichzeitig ebenso das Handeln dieser Personen auf den Sexualtrieb, dann ist das eine zynische Darstellung des Menschen. Ist der Mensch mehr als „Sattelnase“? Ja, sagt unser gemeiner Verstand. Nein, sagt das Gedicht. Und es ist dieser Zynismus, der die Gedichte von Benn gerade in dieser Zeit (man denke an ‚Morgue‘) auszeichnet.
Aber bewertet Benn das Geschehen im Nachtcafé? Findet hier eine Darstellung von Missständen statt, zu deren Veränderung Benn aufruft? Will Benn mit diesem Gedicht sagen, dass Männer sich nicht in Nachtcafés aufhalten und sich gegenüber Frauen nicht auf diese Weise verhalten sollten? Man muss ganz deutlich sagen, dass diese Bewertung fehlt. Es fehlen jegliche Bewertungen des Geschehens. Oder gibt es sie vielleicht doch in versteckter Form?
Das Besondere an diesem Gedicht ist der zweimalige Bezug auf Musik, der Hinweise gibt dafür gibt, ob Benn beurteilt oder sogar verurteilt. In der ersten und in der sechsten Strophe geht es um Musik. Die Musiker, auf ihre Instrumente ‚reduziert‘, bzw. als personifizierte Instrumente: ‚Flöte, Cello und Trommel‘ kümmern sich mehr um das Essen und um den „Kriminalroman“ (V. 4) als um die Musik. Es scheint sich um Live-Musik von mehreren Musikern zu handeln, die das Geschehen im Nachtcafé musikalisch begleiten und sich dabei überhaupt nicht um die Musik kümmern. In der sechsten Strophe, in der sich das erste Mal das lyrische Ich mit einem Ausruf gegen das ‚Pack‘ zu Wort meldet, geht es nicht mehr um das Verhältnis von Männern zu Frauen. Es geht um Musik. Benn wirft einen großen Namen ein: Chopin. Mit dem Ertönen der Musik ‚erwacht‘ das lyrische Ich: „Zwei Augen brüllen auf“ (V. 15). Es sind womöglich die Augen desjenigen, der das Geschehen vorher bloß beschrieben hat. Der Protokollant meldet sich zu Wort – als ein unbeteiligter Beobachter. Nur er hat Ohren für die Musik. Er fordert: „Spritzt nicht das Blut von Chopin in den Saal, / damit das Pack drauf rumlatscht! / Schluß! He, Gigi!-“ (V. 16-18) Dieser Imperativ mit den Hinweis auf die zwei Augen und die direkte Anrede von ‚Gigi‘ im letzten zitierten Vers lässt den unbeteiligten Beobachter lebendig werden. Die Musik von Chopin hat in diesem zwielichtigen Etablissement nichts verloren, bringt dieser Beobachter damit zum Ausdruck. Er distanziert sich, - und hier ist die moralische Bewertung und Verurteilung nicht mehr zu überhören: „das Pack“.
Die auf äußerliche Merkmale reduzierte Beschreibung des Geschehens war weitestgehend frei von Bewertungen. Das hässliche äußerliche Erscheinungsbild der beschriebenen Personen gibt erste Anzeichen für die moralische Verwerflichkeit von dem, was hier im Nachtcafé stattfindet. Aber erst diese Abgrenzung des Ichs vom ‚Pack‘ lässt an dieser Beurteilung keine Zweifel mehr. Was hier passiert, ist moralisch verwerflich. Wer sich hier aufhält, gehört zum Pack.
Und das lyrische Ich selbst? Rettet er sich dadurch, dass er Chopins Musik zu retten versucht? Man kann nicht sicher sein, ob Benn diese Zweiteilung intendiert hat. Die Strophe beginnt mit „B-moll: die 35. Sonate“ (V. 14) – eine 35. Sonate von Chopin gibt es nicht. Unwichtig? Vielleicht. Aber es gibt eine zweite Stelle, an der man etwas über dieses ‚Ich‘ des Gedichts erfährt: in der direkt nachfolgenden Strophe sieben.
Eine Frau betritt durch eine Tür den Raum. Sie wird protokollhaft beschrieben. Doch am Ende dieser Strophe erfährt man etwas darüber, wie der Duft der Frau (der Prostituierten) auf unseren Protagonisten wirkt: „Kaum Duft. / Es ist nur eine süße Verwölbung der Luft / gegen mein Gehirn.“ (V. 22-24). Bleibt der Beobachter unbeteiligter Beobachter, der sich durch den Hinweis auf die Musik vom ‚Pack‘ erfolgreich distanzieren kann? Die Wirkung des Duftes der Prostituierten wird als ‚süß‘ empfunden. Es ist die einzig positiv-konnotierte Beschreibung im gesamten Gedicht. Unser lyrisches Ich ist nicht ohne Grund in diesem Nachtcafé. Auch er (oder „sie“, das ist nicht deutlich, wohl aber ist es zuhöchst unwahrscheinlich in dieser Zeit) ist wie ‚das Pack‘, insofern er an den Prostituierten nicht uninteressiert ist. In seinen Intentionen gleicht er dem ‚Pack‘.
Es wäre auch zutiefst unüblich für Benn, würde er die Überzeugung an eine so oberflächliche moralische Zweiteilung der Gesellschaft vertreten und in sein Gedicht einfließen lassen. Vielleicht ist der Verweis auf die nicht-vorhandene 35. Sonate von Chopin deshalb auch nicht unwichtig. Unser lyrisches Ich spielt sich womöglich nur auf. Ist es wichtig, welche Musik in diesem Nachtcafé gespielt wird? Nicht mal die Musiker schenken der Musik Beachtung. Stärker als die Musik scheint das zu sein, was ohnehin im Nachtcafé von statten geht: hier wird der bloße Sexualtrieb ausgelebt von Personen, die keine Personen sind, sondern ein jeweiliges körperliches Merkmal. Eine düstere Beschreibung. Das passt zu Benn.
Die sozialkritische Bewertung tritt in diesem Gedicht also zurück. Es fehlt außerdem die für den Expressionismus charakteristische Überbetonung der Gefühlswelt eines Ichs. Benn hält sich in diesem Gedicht fast überhaupt nicht an formale Gesetze für Aufbau und Stil eines Gedichts. Er bricht mit den Formen. Variiert zwischen Länge der Strophen und der Verse. Achtet nicht auf Reime und benutzt kaum Stilmittel. Thematisiert wird Prostitution und der Sexualtrieb von Männern, die wiederum auf äußerliche und unästhetische Merkmale reduziert werden. Der Tonfall ist dabei distanziert, nüchtern und oft zynisch. Was in diesem Tonfall beschrieben wird, sind hervorstechende äußerliche Merkmale und manchmal Krankheitssymptome. Welcher Epoche ist dieses Gedicht zuzuordnen? Eindeutig womöglich keiner einzigen. Aber es ist unschwer als ein Gedicht des „Medizynikers“ zu erkennen: Es hat den düsteren Tonfall des Zynikers und den nüchtern-beschreibenden Tonfall des Mediziners. Und es sollte gerade deshalb nicht als sozialkritisches Gedicht eines Moralapostels gelesen werden. Das hier vorkommende lyrische Ich zeigt sich einer Prostituierten gegenüber aufgeschlossen. Charakteristisch ist nicht das Sozialkritische, sondern eher das Zynische. Die Personen, die im Gedicht vorkommen, sind bloße körperliche Merkmale. Hässliche Erscheinungsbilder von Krankheiten. Jede humanistische Überhöhung der Person wird durch diese Reduktion lächerlich gemacht. Moralisches Handeln gibt es bei diesen wandelnden Krankheitssymptomen nicht. Nur den blinden Sexualtrieb. Das ‚Nachtcafé‘ von Benn gibt ein düsteres und zynisches Bild der modernen Gesellschaft. Und es ist nicht von der Hand zu weisen, dass es erst den ‚Fortschritt‘ der Moderne geben musste, damit der Nihilismus lebendig werden konnte.